Wer im Job sitzt und auch einen Großteil seiner Freizeit auf der Couch vorm TV verbringt, wird das Problem kennen:Der Nacken ist verspannt, die Schultern schmerzen, wir gehen und sitzen gebeugt. Alles andere als optimal für einen gesunden und schmerzfreien Rücken.
Und genau hier setzt das haltungskorrigierende „Posture Shirt 2.0“ an.
Wie funktioniert das Shirt?
Das „Posture Shirt 2.0“ von Anodyne ist von kinesiologischem Tape inspiriert, wie es auch von Physiotherapeuten verwendet wird, um die Muskelfunktion zu korrigieren, den Blutkreislauf anzukurbeln und Rückenschmerzen sowie Verspannungen zu reduzieren.
Durch das Tragen soll die Rückenmuskulatur aktiviert und Schultern, Schulterblätter und der Kopf in die richtige Haltung gebracht werden.
Sportler können laut Hersteller nach wenigen Wochen sogar eine verbesserte Leistungsfähigkeit spüren.
Verantwortlich dafür ist das eingearbeitete Neuroband entlang der Wirbelsäule und der Schulterpartie, das ähnlich wie einKinesiotapeden Oberkörper sanft in eine aufrechte Haltung zieht, und dadurch die Körperhaltung verbessert.
Der Test
Bestellt man direkt über die Homepage, bekommt man abhängig von Körpergröße, Gewicht, Brust-, Hüft- und Taillenumfang das für sich passende Shirt geliefert. Der Preis liegt bei 89 Euro.
Als ich es zum ersten Mal überziehe, muss ich kurz die Luft anhalten: Presswurstalarm! Das Shirt ist wirklich extrem eng und ich befürchte, dass mich meine Kollegen später mit einer Schere herausschneiden müssen.
Allerdings bemerke ich auch direkt nach dem Anziehen den versprochenen aufrichtenden Effekt. Meine Schultern werden leicht nach hinten gezogen, ich stehe und sitze tatsächlich aufrechter und fühle mich wie an einem unsichtbaren Faden hochgezogen.
Nach wenigen Minuten habe ich mich auch an die Enge gewöhnt, da das Shirt nur die Schultern zusammenzieht, aber ansonsten nicht unnötig einschneidet oder drückt.
Ich setze mich zum Arbeiten an den Schreibtisch und mein Oberkörper fühlt sich optimal gestützt an, ohne dass ich meine Haltung immer selbst nachkorrigieren muss. Nach 15 Minuten habe ich allerdings das Gefühl, dass mein rechter Arm etwas taub wird.
Ob das Shirt vielleicht doch etwas zu eng ist oder ich mich einfach noch nicht daran gewöhnt habe, kann ich nicht genau einschätzen.
Da man es aber zu Beginn sowieso nur maximal 30-60 Minuten tragen soll, um den Körper an das Oberteil zu gewöhnen, ziehe ich es erstmal wieder aus und gebe ihm die nächsten Tage eine weitere Chance.
Das Shirt kann man sowohl im Alltag als auch beim Sport tragen, um Verletzungen zu vermeiden.
Allerdings fühle ich mich in dem Teil sehr unwohl – der Sitz verzeiht wirklich gar nichts, weshalb ich es im Alltag unterm Pullover versteckt gerne anziehe, es aber auf gar keinem Fall zum Sport tragen möchte.
Fazit nach mehrtägigem Tragen
Nachdem ich das Shirt auch mehrere Stunden hintereinander getestet habe, merke ich, wie angenehm es ist, dass es meine Haltung automatisch korrigiert.
Ich habe gar nicht mehr das Bedürfnis, vorm Rechner einen krummen Rücken zu machen. Das Shirt ist so eng, dass das auch kaum geht – ohne dabei aber zu schmerzen.
Das Erstaunliche: Selbst nach dem Ausziehen richtet man sich automatisch mehr auf, der Effekt bleibt also sogar eine zeitlang bestehen.
Laut Hersteller liegt das daran, dass das Shirt das Muskelgedächtnis stimuliert und dadurch das Bewusstsein für eine gesunde Haltung schafft.
Zudem bemerke ich eine sehr angenehme Wärmeentwicklung im Bereich der Schulterblätter, was auf die Aktivierung der Rückenmuskulatur, der Schulterblätter und Schultern zurückzuführen ist.
Dass das Tragen des Shirts trotz aller Vorteile nicht die regelmäßige Bewegung und das Training von Rücken und Schultern ersetzt, sollte aber klar sein.
Wer viel am Schreibtisch sitzt, kann es einfach als unterstützende Maßnahme im Alltag sehen, oder das Shirt auch noch beim Sport tragen, wodurch die Muskeln gezielt angeregt und Bewegungen durch die Haltungskorrektur effizienter werden sollen.
Trotz der angenehmen Wirkung stellt sich mir aber doch eine Frage: Wenn eine Art Kinesiotape die Arbeit für meine Muskeln übernimmt, werden sie dann auf Dauer „faul“ und ruhen sich auf der Unterstützung von außen aus?
Wie derartige Hilfsmittel für die Muskeln aus Expertensicht einzuschätzen sind, wissen die Experten vom HamburgerPersonal Training-Studio „Kraftlotsen“.
Das sagen die Experten
Um haltungskorrigierende Kleidung wirklich bewerten zu können, wäre wohl eine Langzeitstudie mit ausreichender Stichprobe und Vorher-/ Nachheruntersuchung notwendig.
Aber schon mit gesundem Menschenverstand und ein wenig Fachkenntnis lassen sich einige Schlüsse ziehen:
- Für ein Tragen spricht, dass das Bewusstwerden der Fehlhaltung die Aufmerksamkeit an die richtigen Stellen lenkt.
Allein die Wahrnehmung und Achtsamkeit setzen Heilungskräfte in Gang. Eine regelmäßige Erinnerung an die eigene Aufrichtung findet statt. Laut Hersteller werden zudem die Muskeln aktiviert, auch ein Placebo-Effekt ist nicht zu vernachlässigen. - Aber alleine schon der Begriff „haltungskorrigierendeKleidung„ macht stutzig. Eine wirkliche Haltungskorrektur kann ohne adäquates Rücken- und Bauchmuskeltraining nicht stattfinden.
Wenn wir uns darauf verlassen, dass die Kleidung diese Funktion übernimmt, laufen wir Gefahr, die eigene Arbeit zu vernachlässigen.
Das würde langfristig zu einer Rückbildung der Muskulatur führen. Kinesiologiosche Tapes, wie sie auf der Webseite als Inspiration häufig genannt werden, werden immer nur temporär verwendet.
Das spräche gegen eine langfristige Verwendung der Kleidung. Auch entfaltet das Tape eine seine Hauptwirkungen, nämlich die gesteigerte Durchblutung des Gewebes, durch seine Haftung auf der Haut.
Es ist nicht davon auszugehen, dass die Kleidung diesen Effekt erzielt.
Alles in allem können wir, die Kraftlotsen, uns vorstellen, dass ein temporäres Tragen dieser Kleidung einen positiven Effekt hat. Es kann aber nur eine Hilfe zur Selbsthilfe sein.
Langfristig muss der Körper mittels Mobilisation, Stabilisation und Kräftigung durch komplexe Bewegungsmuster trainiert werden.